Linzer Erklärung

 Vorbemerkung


Die unten wiedergegebene Linzer Erklärung zur Aktiven Gewaltfreiheit wurde am Ende des Gandhi-Symposiums, am Sonntag, den 29. September 2019 von den noch Anwesenden Teilnehmer*innen ausgehend von einem Entwurf von mir, Reiner Steinweg, bzw. von einer verbesserten Version von Sara Dunja Menzel, Freiburg, und zahlreichen Änderungsvorschlägen der Teilnehmer im Verfahren des „systemischen Konsensierens“ Satz für Satz abgestimmt. Sie wurde Ende Oktober 2019 auf diese Website gestellt.
  
Wir bitten, sie zu verbreiten und zu unterschreiben.
Die Namen der  Unterzeichner werden  laufend auf dieser Website ergänzt.

Ich habe nachträglich in Absprache mit Cornelia Stanzel noch folgende Ergänzungen vorgenommen:
  •  "und mit Gesetzen, Zwang  oder Gewalt durchzusetzen versuchen"
  • "konstruktive Aktivitäten zur Verbesserung bedenklicher Zustände" (in Verbindung mit Aktionen zivilem Ungehorsam)
im Kontext des Zivilen Ungehorsams, weil in dessen Geschichte konstruktive, also aufbauende

Aktivitäten wie Danilo Dolcis nicht genehmigter Straßenbau in Sizilien oder das Salzsammeln und das Heimspinnen und -weben in Indien wichtige positive Elemente in Kampagnen waren, die Zivilen Ungehorsam gegen gesetzlich fixierte menschenunwürdige oder/und lebensbedrohende Zustände einsetzten.

Außerdem haben wir gegen Ende des zweiten Absatzes den Ausdruck "in letzter Konsequenz" anstelle von ursprünglich  "notfalls"  eingefügt: Der Einsatz des eigenen Lebens ist nur dann gerechtfertigt und erforderlich, wenn offensichtlich nur so und auf keinem anderen Weg absolut lebensnotwendige Entscheidungen herbeigeführt werden können. Gandhi hat von diesem allerletzten Mittel mehrmals Gebrauch gemacht, indem er einen "Hungestreik bis zum Tode" angekündigt hat.

Der Ausdruck in der Erklärung: "bedrohliche Zustände" meint Entwicklungen und Zustände, die das Überleben der Menschheit insgesamt oder großer Bevölkerungsteile bedrohen: der Klimawandel, die Atomwaffen (derzeit besonders in Korea, Indien-Pakistan, Iran-Israel/USA), die Gefahren, die nach wie vor von den Atomkraftwerken und ungesicherten Endlagern und von der rasanten Reduzierung der Artenvielfalt ausgehen, oder ein menschenunwürdiger Umgang mit Kriegs- und Klimaflüchtlingen. Es wurde auf Wunsch der Teilnehmer*innen auf die konkrete Nennung einzelner Beispiele verzichtet, um nicht andere, die für manche Bevölkerungen ebenso wichtig sein könnten, auszuschließen oder in den Hintergrund zu drängen.

Der starke Akzent der Erklärung auf Formen des Zivilen Ungehorsams bedeutet nicht, dass Regelbrüche aller Art und in den verschiedensten Dimensionen des Lebens befürwortet werden. Vielmehr gilt nach wie vor Gandhis Grundsatz: Sei loyal gegenüber Staat und Gesetz, wo immer es ethisch möglich und gerechtfertigt ist. Ziviler Ungehorsam ist stets nur ein äußerstes Mittel dann, wenn in gesamtgesellschaftlichen Situationen wie den oben genannten, in denen rasche Entscheidungen und gesetzliche Änderungen geboten sind, vorübergehend keine andere Wahl bleibt, weil Regierungen nicht oder nicht rasch genug angemessen auf die Bedrohung von Menschenwürde, Menschenleben oder der Grundlagen des Lebens überhaupt reagieren. Und er setzt immer voraus, dass nach der Durchsetzung dringend gebotener Veränderungen zur Gesetzestreue zurückgekehrt wird.

Der Satz "Die Erde verträgt keinen Krieg mehr" bezog sich ursprünglich auf den Klimawandel in der Annahme, dass im Krieg besonders rücksichtslos und besonders viel CO2 eingesetzt wird.  Diese Annahme wurde von einzelnen Anwesenden als nicht zwingend betrachtet, weil gleichzeitig mit der Freisetzung von CO.durch Bomben und Kriegsgerät  viel weniger CO2  durch den zum Erliegen kommenden Handel  freigesetzt werde. Ob dies tatsächlich so ist, bedarf einer wissenschaftlichen Untersuchung.

Nicht alle der im Folgenden angeführten Unterzeichner der Linzer Erklärung waren mit jeder Formulierung in der Erklärung glücklich. Aber auch diese Personen unterstützen die Grundintention der Erklärung und werden mit ihrer ausdrücklichen Zustimmung genannt.

Wir verstehen die Erklärung als Ausgangspunkt einer Debatte und würden uns freuen, wenn möglichst viele auf dieser Website  dazu beitragen. Wir bitten, uns Diskussionsbeiträge zu dieser Erklärung zu mailen. Wir werden sie unverändert unter dem Button  "Diskussion"  wiedergeben.

Reiner Steinweg


Linzer Erklärung zur Aktiven Gewaltfreiheit

Wir setzen uns mit all unserer Kraft dafür ein, das Leben auf der Erde zu erhalten und jedem Menschen ein den Menschenrechten entsprechendes Leben zu ermöglichen.

Um diesem Ziel näher zu kommen, rufen wir dazu auf, jegliche Gewalt hinter uns zu lassen. Die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass durch Gewalt nur mehr Leid und Feindseligkeit hervorgerufen wird. Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, können wir nur gemeinsam und miteinander bewältigen. In einer Welt voller Konflikte und angesichts der großen, weltweiten Veränderungen, die infolge der Klimakrise bevor­stehen, rufen wir dazu auf, alles was getan wird, mutig und kraftvoll ausdrücklich unter das Vorzeichen von Menschenliebe, Güte und Gewaltfreiheit zu stellen.

M.K. Gandhi wurde vor 150 Jahren, am 2. Oktober 1869, geboren. Er hat wie viele andere vor und nach ihm gezeigt, dass man mit einer Grundhaltung der Gewaltfreiheit, des Respekts und der Menschlichkeit im Alltag ebenso wie auf politischer und sozialer Ebene, enorm viel bewegen kann. Dazu gehört, immer wieder auf Menschen zuzugehen, die andere Auffassungen vertreten und mit Gesetzen, Zwang oder Gewalt durchzusetzen versuchen, und den Dialog aufrecht zu erhalten. Um Menschenrechte zu schützen, sind wir bereit, auch zivilen Ungehorsam zu üben und uns in letzter Konsequenz unter Einsatz des eigenen Lebens, ohne Waffen welcher Art auch immer, einem gewaltbereiten Gegenüber entgegen zu stellen.

Wir unterstützen gewaltfreien zivilen Ungehorsam in seinem gesamten Spektrum. Dazu gehören Schulstreiks und andere Streikformen, konstruktive Aktivitäten zur Verbesserung bedenklicher Zustände und Sitzblockaden oder ähnliche Aktionen – unabhängig davon, ob sie von der Regierung toleriert werden oder nicht.

Inzwischen ist wissenschaftlich belegt, dass zwischen 1900 und 2006 Aufstände mit diesen Methoden anteilig doppelt so oft erfolgreich waren wie militärische.

Jede Gewaltaktion zwischen größeren Gruppen erhöht die Wahrscheinlichkeit bürger­kriegsartiger Zustände. Angesichts des gegenwärtigen militärischen Zerstörungspotentials hat jeder Krieg unabsehbar schwere Folgen. Die Erde verträgt keinen Krieg mehr.

Gewalt hat sich als scheinbare Lösung für Konflikte in unserem Kopf etabliert. Wer vergangene Gewalt verherrlicht, öffnet der zukünftigen die Tür. Wir Menschen haben die Chance, von nun an Friedensgeschichte zu schreiben. Wir können lernen, Konflikte im Dialog und mit Respekt für den Anderen zu bearbeiten. Damit im alltäglichen Umgang miteinander zu beginnen, ist ein wichtiger erster Schritt, bei dem uns die Methode der „Gewaltfreien Kommunikation“ helfen kann.

Damit Konflikte zwischen Großgruppen oder der Bevölkerung und dem Staat gewaltfrei bearbeitet werden können, rufen wir dazu auf, vorhandene und beim Linzer „Symposium für aktive Gewaltfreiheit“ 2019 vorgestellte erfolgreiche Trainingsangebote zu nutzen.




Unterzeichner der Linzer Erklärung zur aktiven Gewaltfreiheit
a) Vortragende und Moderatoren beim Linzer Symposium
  • Arnold, Dr. Martin
  • Bala, Dr. Sruti
  • Besemer, Dipl. Pol. Christoph
  • Hämmerle, Pete
  • Herzog, Dr. Rupert 
  • Laubenthal, Ulrike 
  • Menzel, Sara Dunja (Globallmende Frei­burg)
  • Renoldner, Prof. Dr. Severin
  • Roithner, Priv.-Doz. Dr. habil. Thomas
  • Schweitzer, Dr. Christine
  • Stanzel, Cornelia, BSc
  • Steinweg, Dr. Reiner
  • Weilharter, Wolfgang, MA. (Mediator, Konflikt- und Gemeinwesenarbeiter)
  • Wintersteiner, Prof. em. Dr. Werner
 b) Mitglieder der „Friedensinitiative der Stadt Linz“
    • Ettl, Paul (Friedensakademie Linz) 
    • Mondrian, Erika
    • Paul, Mag. Andreas (Theologe / Klinik-Seelsorger)
    • Stoik, Dr. Otto
    • Schneckenleithner, Mag. Dr.  Meinrad (Pax Christi Österreich)
    • Stanzel, Cornelia Bsc
    • Steinweg, Dr. Reiner

    c) Weitere Unterzeichner

    • ·  Bäuerl, Mag. Maria, Wien
    • ·  Bindreiter, Brigitte Linz
    • ·  Bindreiter, Brigitte, Linz
    • ·  Bonke, Michael
    •    Brandl, Katharina 
    • ·  Detloff, Niels, Umwelttechniker, Zempow
    •    Drechsler, Prof.  Mag. Friedrich J. (Koordination Allgemeinbild. Pflichtschulen /       Berufsschulen)
    •    Friedmann, Walther, Lehrer im Ruhestand
    • ·  Gertzen, Rainer, Essen
    • ·  Hartl, Mag. Karin Maria (Pensionistin, Friedensinitiative der Stadt Linz)
    • ·  Holzinger, Mag. Hans (Robert Jungk-Bibliothek Salzburg)
    • ·  Jalka, Dr. Susanne, Wien, Konfliktforscherin
    • ·  Kröll, Rosvitha (Radio Fro)
    •    Marksteiner, Elke (PR-Mitarbeiterin des  Österreichischen Studienzentrums für Konfliktlösung/ASPR)
    •    Mecke, Ernst, Helsinki 
    • ·  Merkel, Magdalene
    • ·  Merz, Gerhilde  (Friedensinitiative der Stadt Linz)
    • ·  Nessling, Philipp
    • ·  Öfferlbauer, Peter Wels 
    • ·  Peherstorfer, Dr. Herber, Wien
    •    Polifker, Beris, Student
    • ·  Reich, Prof. Dr. Hannah (Hochschule Würzburg-Schweinfurt)
    •    Schöller, Maria, Mediatorin 
    • ·  Soellinger, Michaela (Versöhnungsbund Österreich)
    • ·  Spiekermann, Mag. Reinhilde, Enns, Pax Christi OÖ
    •    Stolz, Andrea, Magistra, Obdach  
    • ·  Teichmann, Angelika (Musiktherapeutin), Wien
    • ·  Trautvetter, Bernhard